Wie „wahr“ …
Raum für Individualität und Meinungsfreiheit in der Gesellschaft ist ein hohes Gut, aber mit Blick auf unsere mentale Subjektivität (persönliche Anschauungen) auch voraussetzungsreich, da wir auf Basis unserer Meinungen und „Wahrheiten“ handeln.
Subjektivität?
Unser Wahrnehmen von der Welt und unser Denken über die Welt entwickelt in einem ständigen Fluss Vorstellungen der Wirklichkeit und bildet so etwas wie Meinungen und scheinbar verlässliche „Wahrheiten“ aus, denen wir „Glauben“ schenken. Dabei sind wir uns im Alltagsgeschehen nicht bewusst, dass unsere „Wahrheiten“ in unserem Denken als mögliche Sicht der Dinge entwickelt, also hypothetisch konstruiert werden. Dies geschieht, da wir biologisch gesehen keine 1zu1 Verbindung unseres Wahrnehmens und Denkens mit der Wirklichkeit selbst haben, sondern auf Informationen von der Welt, die wir über unsere Sinne (Hören, Sehen, Riechen, Schmecken, Tasten) aufnehmen und in unserem Denken zu Vorstellungen der Wirklichkeit verarbeiten, angewiesen sind.
Natürlich findet in unserem Denken eine ständige Prüfung und möglichst nahe Anpassung unserer Vorstellungen an die Wirklichkeit durch die kontinuierliche automatische Aufnahme und Verarbeitung aktueller Informationen statt, womit wir unseren mutmaßlichen „Wahrheiten“ den nötigen Realitätsbezug beimessen. Die Wissenschaft bemüht sich in dem Zusammenhang über Prüfungs- und Vergewisserungsverfahren um eine sogenannte Evidenz (Gewissheit/Gültigkeit). Am Ende bleiben unsere „Wahrheiten“ subjektive Konstrukte (persönliche Auffassungen und Annahmen), die auf Basis von Informationen gebildet werden, so „wahr“ sie uns auch erscheinen mögen. Gleichzeitig haben wir nur unsere konstruierten Vorstellungen und Meinungen, um uns in der Welt zurechtzufinden und unser Leben in der Realität zu entwickeln und zu verwirklichen.
Umso wichtiger ist es, dass wir gelegentlich innehalten und uns über unsere „Wahrheiten“ Gedanken machen. Dies auch in Hinblick auf die wachsende Menge der Informationen und Vielfalt der Medien, die wir nutzen, um unsere Vorstellungen zu formen. Die Vielfalt der Medienlandschaft, insbesondere der Sozialen Medien ist eine große Bereicherung, damit ist aber auch die Frage nach der Relevanz der Inhalte und der Informationsqualität verbunden. Nicht alles, was gepostet wird, und wenn es noch so logisch klingt, ist „wahr“. Insofern benötigen wir zunehmend hohe Medienkompetenz und bestenfalls Mentalkompetenz (Selbstwahrnehmung, Selbstreflexion und Selbststeuerung) in der Mediennutzung, speziell in der Filterung relevanter Inhalte und Prüfung des „Wahrheitsgehalts“ der Informationen, die wir über die Medien nutzen.
Zum Nachdenken
Ein interessanter Podcast zum Thema Wahrheit und der Suche nach einem Wahrheitsbegriff im Zeitalter vieldeutiger Meinungen, fragmentierter Interessen, Alternativer Fakten und Desinformation, in dem unterschiedliche Positionen kompromisslos behauptet und so etwas wie Common Sense (Gemeinsinn) schlicht weg über den Haufen geworfen wird. Passt gerade gut in die aktuelle gesellschaftliche Corona-Debatte, die sich teils sehr polarisierend und unversöhnlich geriert …
Corona-Debatte – Meine Wahrheit, deine Wahrheit (deutschlandfunkkultur.de)
