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Zivilisation und Aggression

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  • Beitrag zuletzt geändert am:26. Dezember 2023

Erschütterung der Weltordnung

Was wir aktuell (Frühjahr 2022) in der Ukraine sehen, ist erschütternd und traurig. Es ist nicht irgendein Land, das ein anderes Land mit martialer kriegerischer Gewalt überfällt, dessen Menschen seinen Willen aufzwingen will, ihre Existenz zerstört und ihnen in empathielosem Wahn ihr Leben nimmt. Es ist Russland, eine Weltmacht, hochgerüstet mit nuklearem Drohpotenzial, das mit seiner unverzeihlichen militärischen Aggression, seinem menschenunwürdigen Zynismus, der Negation und Destruktion der internationalen Menschenrechte und seiner medialen Manipulation Europa und der ganzen Welt zeigt, wo wir Menschen zivilisatorisch stehen und worauf wir uns bei zukünftigen politischen Konflikten auf unserem Planeten Erde womöglich einstellen können.

Wir erleben nicht nur deshalb eine Erschütterung unserer Weltordnung, die in den letzten Jahrzehnten erste zivilisatorische Ansätze zu Menschenrechten und Frieden zeigt, auch wenn sie die weltweit vorhandenen und immer wieder aufflammenden Konflikte, Verwerfungen und Gewaltexzesse noch nicht lösen und verhindern kann, weil eine Großmacht einen invasorischen Angriffskrieg auf ein anderes Land verübt. Die Erschütterung bezieht sich auch auf die mentale Dimension der Aggression durch die Ideologisierung und Instrumentalisierung des Fühlens und Denkens der Menschen, national in Russland und mit globalem Ausmaß durch die suggestive Induzierung (Verabreichung) manipulativer Narrative und offenen Lügen über alle medialen Kanäle weltweit sowie in den internationalen politischen Gremien und den Vereinten Nationen.

Die Realität der mentalen Manipulation ist dabei nicht neu, das tun wir Menschen seit Jahrtausenden weltweit. Neu und konfrontierend ist, dass es in der Zeit globaler Medien, wissenschaftlicher Erkenntnis und Aufklärung sowie der Kenntnis der politischen und kriegerischen Auswüchse durch Ideologisierung und Gleichschaltung der Menschen im 20. Jahrhundert möglich ist, Millionen von Menschen, von denen zumindest die Jüngeren in den Metropolen, Zugang zu internationalen Medien im Internet haben/hatten, mit offensichtlichen Lügen und Falschinformationen zu indoktrinieren und damit deren Zustimmung und Unterstützung zu barbarischen Taten zu erwirken.

Putin und der Westen – Strategien der Destabilisierung

Zur Diskussion – Deutschlandfunk · Putin und der Westen – Strategien der Destabilisierung · Podcast in der ARD Audiothek

Der russische Präsident Wladimir Putin tut alles, um sich aus der Schlinge der Kriegsfolgen zu winden und seine Partner auf eine neue Allianz einzuschwören. Das gemeinsame Ziel: dem Westen schaden. Aber was hat Westen dem entgegenzusetzen?

Zur Diskussion – Deutschlandfunk · 20.12.2023

Im Nebel des Krieges

Jazz & Politik · Im Nebel des Krieges · Podcast in der ARD Audiothek

„Ende Juli 2023. Wir bereiten uns auf die Ferien vor. Doch der Krieg geht weiter. Und Putin gibt nicht auf Rache üben zu wollen. Wofür? Eine Sendung über die Zähigkeit des Krieges.“ Jazz & Politik 28.07.2023, BR2

Ideologische Narration

Im Zusammenhang mit dem Konflikt Russland und Ukraine wird viel über den Begriff „Narrativ“, über Desinformation und Informationsmanipulation gesprochen. Wenn vom „Putin-Narrativ“ gesprochen wird, dann ist damit seine Version der geschichtlichen Begründung des russischen Anspruchs gegenüber der Ukraine gemeint, die der Ukraine ihre nationale Identität und territoriale Souveränität abspricht und Putin als politischen Führer sowie Russland in seiner Aggression gegen die Ukraine legitimiert. Dieses imperial indendierte ideologische Narrativ wird seit vielen Jahren medial über Russland und die Welt ausgebreitet, bedient identitäre (ethnisch/slawisch, In-Outgroup Spaltung) narzisstische (selbstüberhöht/selbstsüchtig, empathielos) russische Großmachtphantasien in der politischen Führung und im Volk und prägt die Vorstellungen von Russland, dessen Perspektive, Ideale und Intentionen weltweit.

Das russische Volk, anscheinend in großer Zahl, die Weltpolitik und Teile der Gesellschaften anderer Länder sind in der Vergangenheit den Narrativen Russlands und den darin verwobenen identitären Ideologien und Ansprüchen mehr oder weniger gefolgt, die imperialistische Großmachtphantasien bedienen und militärische Aggression legitimiert haben. Diese Narrative waren und sind durchsetzt mit Motiven der Gefahr von Außen, die das Territorium sowie die Identität, Kultur und gesellschaftliche Ordnung Russlands bedrohen würden.

Im russischen Volk erzeugen diese Narrative soziale Identitäts- und narzisstische Einzigartigkeits- und Größengefühle, die eine Polarisierung in In- und Outgroup sowie selbstbezogene und selbstgerechte Machtinteressen erzeugen. In Kombination mit vermeintlichen (imaginären) Bedrohungsgefühlen durch die Outgroup, aktivieren diese Narrative Schutzbedürfnis und mobilisieren Aggression und Gewaltbereitschaft gegen die fiktive Bedrohung, die politisch und militärisch genutzt werden können.

In der Welt erzeugen diese Narrative „Verständnis“ für das Schutzbedürfnis der Identität und des Territoriums Russlands und schaffen somit Raum zur Ausbreitung identitärer und imperialistischer Phantasien und Handlungen, selbst aggressiver militärischer Übergriffe. Interessant am Vorgang des „Verständnisses“ in der Outgroup, also der nicht russischen Gesellschaften, ist die „Übernahme“ der russischen Narrative, die sich im Begriff des „Putin-Verstehens“ wiederfindet. Im bitteren Eindruck der invasiven Aggression Russlands gegen die Ukraine stellen sogenannte „Putin-Versteher“ mit Schrecken fest, dass sie womöglich den „Putin-Narrativen“ aufgesessen sind und mit ihrem Verständnis Raum für die Manifestation der Narrative in den Köpfen der Menschen gegeben haben. Zu gewagt erschien der Gedanke Putin und sein Regime würde tun, was er sagt.

Können Menschen aggressive mörderische Kriege führen, ja sie können und sie tun es. Der innere identitäre narzisstische empathielose (ohne Einfühlung und Mitgefühl für Menschen, hier die Out-Group) Trieb bewirkt das Unvorstellbare. Das ist das Learning dieser Tage.

Die Möglichkeit von Frieden

Menschen, die ihre Aggression in zerstörerischer, vernichtender und mordender Weise auf andere Menschen richten, sind emotional und sozial dysfunktional. Schmerz, Leid und Tod zu verursachen ist gegen das Leben gerichtet, das ist die Referenz emotionaler und sozialer Dysfunktionalität. Unsere Mentalen Systeme vitaler, sensorischer, emotionaler, sozialer und kognitiver Funktion sind genetisch für das Leben und Überleben programmiert. Menschen, die das eigene oder das Leben und die Existenz anderer zerstören, sind mental dysfunktional. Im physischen Bereich ist Dysfunktionalität leichter verständlich. Mit einem gebrochenen Bein kann man nicht laufen. Im mentalen Bereich können wir uns das weniger gut vorstellen, weil wir das äußerlich nicht sehen.

Wenn ein Mensch „intelligent“ erscheint, denken wir, er hat Verstand und Vernunft und kann seine Einstellungen und Handlungen objektiv und verantwortungsvoll steuern, wenn er nur will. Die Vorstellung, dass mentale Dysfunktionalität auf einzelne Funktionen bezogen sein kann z. B. auf emotionale und soziale aber gleichzeitig die Kognition „intelligent“ arbeitet, ist für Nichtfachleute etwas schwierig auseinanderzuhalten. Wobei „intelligente“ Kognition nicht gleichzusetzen ist mit „Verstand“, „Vernunft“ und „Verantwortung“ im funktionalen emotionalen und sozialen Sinn. „Intelligenz“ steht einfach nur für logisches konstruktives Denken, das kann auch Zerstörung und Mord zum Inhalt haben.

Auf das Putin-Regime bezogen könnte man sagen, es ist nicht „verrückt“, aber definitiv auf Grund seiner unmenschlichen Handlungen emotional und sozial dysfunktional. Die Implikationen (Bezüge) sind Egozentrik, soziale Insensibilität und Empathielosigkeit, deren dysfunktionale Ausprägung an der Qualität der sozialen Gefühlslosigkeit und des antisozialen Verhaltens feststellbar ist und häufig bei narzisstischen Persönlichkeiten, aber auch durch soziale Induzierung (Übertragung) z. B. durch Demagogen oder traumatische Erlebnisse z. B. in Kriegssituationen bei Soldaten in Erscheinung tritt. Empathiedefizite repräsentieren (darstellen) keine Verhaltenspräferenz (bewusste Bevorzugung), sondern stellen neuronale Begrenzungen jenseits bewusster Steuerung und Entscheidung dar.

In der Diskussion, wie man nun mit der Aggression und Destruktion des Putin-Regimes umgehen soll, um Frieden zu erreichen, ob man auf Verhandlungen oder Gegengewalt setzen soll, geht es um die Frage wie man die mentale Dysfunktion und das Verhalten des Aggressors aus der Erfahrung mit ihm einschätzt. Nach 20 Jahren Verhandlung stellt man in der Analyse der „Putin-Narrative“ und militärischen Aggressionen in Konfliktgebieten fest, dass das Putin-Regime zwar verhandelt, aber die Verhandlungen als Instanz der Verständigung und des Friedens nicht respektiert hat. Der „Scherbenhaufen“ der Weltordnung liegt genau darin. Wir stellen fest, dass Verhandlungen, Verständigung und Friedensinteressen nicht selbstverständlich in der Welt von den Herrschenden geteilt, sondern sogar als „Schwäche“ interpretiert und für ihre Machtinteressen instrumentalisiert werden können.

Dies wirft ein neues Licht auf die Idee von Frieden. Wir müssen feststellen, dass Frieden eine humanistische und humanitäre zivilisatorisch geleitete Vorstellung ist, die sogar in einer Form von Friedensideologie vertreten wird und, positiv auf das Leben der Menschen gerichtet, mehr als wünschenswert verstanden werden kann. Nur, die Idee Frieden wird dann zur Illusion, wenn sie die dazu nötige mentale Funktion der Handelnden, insbesondere im emotionalen und sozialen Bereich nicht einbezieht, aus Unkenntnis, Idealismus oder unreflektiertem Optimismus. Die Frage ist, wie mental friedensfähig ist das Putin-Regime? Trotz des Anblicks der bereits verursachten Zerstörung und des unermesslichen Leids der Menschen in der Ukraine, setzen sie ihre Aggression ungemindert fort … das ist die Realität auf die sich die zivilisatorisch orientierte Weltgemeinschaft einstellen muss.

Zwischen „Verstehen“ und „Übernahme“

In dieser Betrachtung wird klar, der Begriff Narrativ spielt in Bezug auf unsere zivilisatorische Perspektive, die Menschenwürde, Menschenrechte, Verständigung und Frieden unter den Völkern in der Fähigkeit zu konstruktivem Verständnis und Interessensausgleich der Menschen meint, eine zentrale Rolle. Es lohnt ein Blick auf die allgemeine Definition des Begriffs z. B. in Wikipedia: „Als Narrativ wird seit den 1990er Jahren eine sinnstiftende Erzählung bezeichnet, die Einfluss hat auf die Art, wie die Umwelt wahrgenommen wird. Es transportiert Werte und Emotionen, ist in der Regel auf einen Nationalstaat oder ein bestimmtes Kulturareal bezogen und unterliegt dem zeitlichen Wandel. In diesem Sinne sind Narrative keine beliebigen Geschichten, sondern etablierte Erzählungen, die mit einer Legitimität versehen sind.“ Der Kern der Definition bezieht sich auf den Aspekt der sinnstiftenden Erzählung, die Einfluss hat auf die Art, wie die Umwelt wahrgenommen wird und die Werte und Emotionen transferiert.

Die Kommunikationspsychologie hat uns in den letzten 50 Jahren richtigerweise gelehrt, zwischen der eigenen und der Perspektive der anderen zu unterscheiden und nicht die eigenen Vorstellungen auf die Vorstellungen der anderen zu projezieren. Metaphorisch wurde dieser Perspektivwechsel bezeichnet, als sich „auf den Stuhl des anderen zu setzen“ und „mit den Augen des anderen zu sehen“. Die Wahrnehmung der Perspektive des anderen ist eine Grundvoraussetzung zur Verständigung untereinander und zur Vermeidung von Missverständnissen und Konflikten. Allerdings impliziert (beinhaltet) der Prozess des Perspektivwechsels auch das Phänomen der „Übertragung“ und tendenziellen „Übernahme“ der Perspektive des anderen sowie seiner Narrative, also seiner „Geschichten“ und den darin konstruierten Logiken und Motiven.

Wenn es darum geht, die Perspektive des anderen in die Wahrnehmung zu nehmen und dessen „Sicht“ einzunehmen, ist zu unterscheiden zwischen dem „Nachvollziehen“ und dem „Übernehmen“ der Narrative. Im Begriff „Verstehen“ wird nicht explizit zwischen diesen Vorgängen unterschieden. Da Sprache und die darin codierten Unterscheidungen und Bedeutungen unser Denken prägen, kann es geschehen, dass wir vom „Verstehen“ der Perspektive des anderen sprechen und dabei nicht unterscheiden zwischen dem „Nachvollziehen“ und dem „Übernehmen“ von Narrativen. So kommt es zur suggestiven, also nicht reflektiven „Übertragung“ und unbewussten „Übernahme“ der Narrative des anderen. Die Narrative so zu konstruieren, dass sie Motive und Ziele in sich bergen, die durch ihre subtile Logik die suggestive „Übertragung“ und „Übernahme“ induzieren (verabreichen), ist das Ziel manipulativer politischer Propaganda und Desinformation.

Perspektiven anderer reflektierend nachzuvollziehen, erfordert ein bewusstes Unterscheiden zwischen dem analytischen „Auffassen“ und „Erfassen“, also dem Kenntniserwerb und der unbewussten „Übernahme“ sowie dem damit Einhergehen des „Verstehens“ des anderen im Sinne des „Folgens“ und „Zustimmens“ seiner Narrative. Die Voraussetzung für ein reflektives „Nachvollziehen“ ohne „Übernahme“ der Perspektive des anderen, ist also ein explizites Unterscheidungsvermögen im Prozess des Perspektivwechsels, das per se nicht einfach ist. Denn unser Denken verfängt sich in den subtilen Logiken von Narrativen unterhalb unserer Reflexionskapazität. Dies kann nur umgangen werden durch ein hochentwickeltes Reflexions- und Dekonstruktionsvermögen (bewusstes Analysieren und Zerlegen/Zergliedern) unserer eigenen Gedanken und Narrative in der Selbstwahrnehmung, das geschult sein will.

Unser Weltbild

Schauen wir nun etwas tiefer in das menschliche Mentalsystem, in dem Narrative wirken. Mit Mentalsystem ist das funktionale neuronale System in unserem Gehirn gemeint, in dem mentale Prozesse und Inhalte, im Sinne von Wahrnehmen, Fühlen, Denken, Handeln und die darunterliegenden Antriebe, Bedürfnisse und Bindungen produziert werden und arbeiten. Für unseren menschlichen Organismus hat das Mentalsystem die Aufgabe unser Überleben und unsere Fortpflanzung durch Informationsaufnahme und -verarbeitung im Zusammenspiel mit emotionaler Bewertung und konstruktiven Denkprozessen zu steuern. Diese Vorgänge laufen selbstorganisational und werden zu einem bestimmten Anteil (ca. 30%) in unserem Ich-bezogenen Wachbewusstsein inhaltlich erlebt.

Dieses Ich-Erleben suggeriert uns, dass unsere Vorstellungen von der Wirklichkeit und unsere Gedanken über die Zusammenhänge der Welt, also unser Weltbild objektiv und durch unsere Wahrnehmung als „wahr“ bestätigt sind. Wir sind in gewisser Weise mit unseren Gedanken identifiziert und können dabei nicht reflektieren, dass diese in unserem Geist subjektiv konstruiert und damit nicht die Wirklichkeit und die Wahrheit selbst sind, sondern vielmehr Interpretationen und Hypothesen, der von uns wahrgenommenen Welt darstellen. Da wir uns als Menschen in komplexen Situationen und Bedingungen bewegen, konstruiert unser Geist nicht nur einzelne Gedanken, sondern Sinnzusammenhänge (Frames), die uns ein Gesamtverständnis einer Situation vermitteln. Wenn wir also von Narrativen sprechen, meinen wir subjektiv konstruierte Sinnzusammenhänge z. B. im Kontext ideologisierter geschichtlicher Erzählungen, wie sie das sogenannte „Putin-Narrativ“ darstellt.

Unser Geist konstruiert aber nicht nur selbst Frames (Sinnzusammenhänge), sondern übernimmt in sozialer Kommunikation in der Gesellschaft bereits existierende und zirkulierende Frames und Narrative, in Abkürzung der zur Konstruktion von Frames notwendigen eigenen Erfahrungen und Erkenntnisse, sofern diese unserem subjektiv arbeitenden Geist logisch und „wahr“ erscheinen. Unser Geist übernimmt also sozial konstruierte Frames und Narrative ohne ihre Objektivität zu prüfen und überhaupt prüfen zu können, in einem suggestiven Akt. Da uns Frames und Narrative so logisch und „wahr“ erscheinen können, dass wir sie gerne übernehmen, ist unser Geist suggestiv von Außen beeinflussbar und manipulierbar. Diese Suggestibilität unseres Geistes macht sich die politische Propaganda und Instrumentalisierung zu Nutze und induziert (verabreicht) uns gezielt ideologische Narrative, die wir als „Wahrheit“ übernehmen, daran glauben und danach handeln.

Im medialen Zeitalter können politische Akteure ihre Narrative in einer medialen Allgegenwart über alle Kanäle in der Gesellschaft ausspielen und somit das Fühlen und Denken der Menschen im Sinne ihrer politischen Ideologien und Ziele indoktrinieren und steuern, ohne dass die Menschen die Chance haben dies zu erkennen, zu reflektieren und ohne sich schlicht ihre eigene Meinung bilden zu können. Ideologische Narrative mit identitären narzisstischen Inhalten von Einzigartigkeit, Höherwertigkeit, Auserwähltsein und Großmachtphantasien bedienen aber auch narzisstische Gefühle der Besonderheit und des gesteigerten Selbstwerts/Selbstüberhöhung, die sich in den Menschen verfangen, sie euphorisiert und damit willfährig und blind, bis hin zum Empathieverlust gegenüber den vermeintlichen „Feinden“ machen. Wenn die politische Propaganda die Menschen dann auch noch von aufgeklärter Information abschirmt und sie in einer Wolke von Lügen und Desinformation einnebelt, glauben sie an die ideologischen Narrative als Wahrheiten und folgen den möglichen barbarischen Untaten von Diktatoren gegenüber anderen Menschen.

Soziale Gefühle und Identität

Die Instrumentalisierung, das „Benutzen“ der Gefühle und Gedanken von Menschen, das „Fremdsteuern“ der Menschen für die eigenen Zwecke, ohne dass die Betroffenen ihr „Benutztwerden“ bewusst erfassen und reflektieren können, ist seit Jahrtausenden die „unsichtbare“ Kette, an die die Herrschenden die Menschen legen und zu ihren Zwecken lenken. Dabei werden Gedanken in Form von Frames und Narrativen suggestiv über Informationsprozesse und Verhaltensregeln übertragen und Gefühle fremdgesteuert aktiviert. Die in den Informationen verwobenen Logiken und Motive, die sich in den Mentalen Prozessen der Menschen unmerklich ausbreiten und fixieren, übernehmen so von Außen die Regie und Steuerung in den Köpfen der Menschen.

Das kann sehr subtil geschehen und nicht nur in Autokratien, sondern auch in Demokratien. Es gibt politische Gruppierungen und Parteien, zu deren etabliertem Repertoire es gehört, ihre Anhänger und Wähler am „unsichtbaren“ mentalen Band zu führen und für ihre Machtinteressen zu missbrauchen. Denken wir an die Republikaner und die Trump Ära, aber auch eine bürgerliche CSU beherrscht aus Tradition die subtile Agitation und Instrumentalisierung, etwa jüngst mit der „Ausländermaut“, dem „Kreuzerlass“ und dem „Bäumeumarmen“, auch „Heimat“ ist ein begehrter Taschenspielertrick. Womit die politische Propaganda weltweit die Menschen mit hoher Wirkung „fremdsteuert“, sind identitär verknüpfte soziale Gefühle.

Unser Mentalsystem steuert unser Leben, organisch und geistig. Dabei spielt das motivationale Grundbedürfnis „Orientierung und Kontrolle“ eine wichtige Rolle. Wenn unser Geist nicht einschätzen kann, wo wir sind und was das Wo für unser Leben und Überleben bedeutet, sind wir in möglicher Unsicherheit und Gefahr. Wenn wir eine Orientierung haben und einschätzen können, wo wir sind und Kontrolle darüber haben, was das Wo für uns bedeutet, fühlen wir uns in Sicherheit und außer Gefahr. In der Orientierung hilft uns das Wissen unserer Identität. Damit ist nicht nur unser personaler Name, sondern auch unsere soziale und kulturelle Identität und insgesamt unsere Autobiografie, also unser gesamtes in unserem Geist gespeichertes biografisches Wissen und Erfahrungen über uns und unser Leben gemeint, das zu unserer Identität in Sinnkontexten (Frames) und Erzählungen (Narrative) verwoben und als solche zur Orientierung aktivierbar ist.

Als tiefes Fundament unserer Identität kann unsere personale, soziale und kulturelle Identität verstanden werden. Denn wir sind als soziale Wesen und genuine (ursprüngliche) „Opfertiere“ in freier Wildbahn auf den Schutz der sozialen Gruppe angewiesen. Insofern ist unsere soziale und kulturelle Identität mit der sozialen Gruppenzugehörigkeit verknüpft. Nur wenn ich eine soziale Identität mit einer sozialen Gruppe habe, habe ich einen Platz in dieser Gruppe und bin in der Gruppe geschützt. In dem Sinne sind unsere sozialen Gefühle und Gedanken der „Bekanntheit“, der „Zugehörigkeit“, der „Verbundenheit“, ja, der „Liebe“ mit unserer sozialen und kulturellen Identität verknüpft und können über diese intuitiv und kognitiv zugeordnet und identifiziert werden.

Unsere personale Identität, unser Ich stellt dabei die tiefste Verankerung in unserem Autobiografischen Selbst dar. Denn nur über die personale Perspektive des Ichs kann ich mit einem personalen Du in Verbindung sein. Dieses personale Ich wird im Zusammenspiel mit den primären Bezugspersonen im sogenannten diadischen System (Mutter-Kind) in früher Kindheit nach ca. 18 Monaten in Differenzierung zum personalen Du gebildet (davor nehmen wir andere Menschen in einer intersubjektiven Perspektive ohne Unterscheidung von Ich und Du wahr). In diesem sowie den folgenden sozialen Entwicklungsprozessen werden auch unsere sozialen Gefühle in ihrer Qualität und Intensität geprägt, die bei der Induzierug (Verabreichung) identitärer Narrative durch politische Propaganda in uns aktiviert und wirksam werden und unseren Geist stark „fluten“ und beeinflussen können.

In der Konstruktion identitärer Narrative werden soziale, kulturelle, ethnische und politische Ideologien mit unserem Autobiografischen Selbst in rationalisierte (verstandesgemäße Begründungen) Sinnzusammenhänge (Frames) und Erzählungen (Narrative) verknüpft, die zielgenau auf die „Überflutung“ unserer sozialen Gefühle gerichtet sind. In der Rezeption (Aufnahme) der identitären Narrative über Informationsprozesse und Verhaltensregeln wird unser Geist mit hoher Intensität emotional aktiviert und geflutet, unter dessen Wirkung sich unser „Verstand“ und unsere Empathie für die „Anderen“, die Outgroup hemmt oder gar ausschaltet und uns willfährig für Diskriminierung und Gewalt macht.

Nationalismus ist seit Jahrhunderten eine politische Ideologie, die immer wieder mit großer Massenwirkung über identitäre Narrative in die Köpfe der Menschen induziert wird. Im aktuellen Geschehen, werden die sozialen Gefühle der Russ:innen mit dem „Putin-Narrativ“ und der darin konstruierten Russlandidentität und -erzählung verknüpft. Nationalismus und die darin liegende Egozentrik sowie der meist auch begleitende Narzissmus erzeugen in systemisch reziproken Dynamiken (wechelwirkend) gegenseitig Nationalismus mit resultierender Polarisierung und Gegnerschaft. Je stärker der Nationalismus in einer Gesellschaft wird, umso stärker wächst der Identitätsbezug, der sich nicht dazugehörig fühlenden Gesellschaften. Eine häufig aus nationalistischer Sicht kolportierte mögliche Koexistenz von nationalistischen Systemen führt in aller Regel zu Konflikten, die sich in Ablehnung, Ausgrenzung und Gewalt entladen können, wie wir das im letzten Jahrhundert in Europa mit allergrößten Verwerfungen und zerstörenden Kriegen erleben mussten.

Nationalistische Ideologien steigern das Selbstwertgefühl der Menschen bis zur Selbstüberhöhung, das sie euphorisiert und für Aggression und Gewalt leicht verfügbar macht. Deshalb bedienen sich die meisten Autokratien nationalistischer Ideologien für die Instrumentalisierung der Menschen, aktuell mit zunehmender Verbreitung, als hätte es keine Aufklärung gegeben. Generationen, die von nationalistischen Konflikten gezeichnet sind, sagen „nie wieder“, aber trotz aufklärendem Geschichtsunterricht und Erinnerungskultur können die Folgegenerationen immer wieder aufs Neue von nationalistischen Ideologien und ihren Heilsversprechen erfasst und indoktriniert werden. Eine Geisel der Menschheit.

Selbst- vs. Fremdbestimmung

Wir leben global in politischen Systemen, die sich mehr oder weniger in den Dimensionen von Selbst- und Fremdbestimmung bewegen, in Demokratie und Autokratie. Demokratien bergen die Schwierigkeit der Vielstimmigkeit und der inneren Neutralisierung von Initiativen in sich, aber auch der sozial verträglichen Selbstbestimmung und Freiheit, vor allem der öffentlichen Kontrolle und parlamentarischen Korrektur, zumindest im Kern.

Nicht alles ist Gold, es gibt Ungerechtigkeit, Ungleichheit, Diskriminierung und Ignoranz, aber es gibt auch aufgeklärte Bildung, freie Meinung, freie Medien und unabhängigen Journalismus. Demokratie ist voraussetzungsreich, will sie gelingen und erfordert eine aufgeklärte, realitäts- und konsensbezogene mentale Entwicklung in Form einer sozial und ökologisch integrierten und achtsamen Selbstbestimmung des Einzelnen und der Gesellschaft, was auch als demokratische „Mündigkeit“ bezeichnet werden kann. Diese, wenn auch subjektiv geleitete „Mündigkeit“ kann der Einzelne und eine Gesellschaft auch nur in einer Demokratie und den darin möglichen Lern- und Entwicklungsprozessen erwerben.

Autokratien formen restriktive hierarchische Systeme mit ausgeprägten Überwachungs- und Sanktionsmechanismen, die sich in Denunziation, Willkür und Manipulation ergehen und zerstörerisch wirken können, wie wir das in Diktaturen sehen. Die große Gefahr geht dabei von der Zuspitzung extremer Machtkonzentration einzelner Potentaten aus, die meist egozentrische, narzisstische, paranoide und antisoziale Persönlichkeitsmerkmale auszeichnet und die zur Missachtung von Vereinbarungen und Gesetzen sowie zu Zynismus und Gewalt neigen und die Menschen ins Unglück stürzen.

Sind autokratische Systeme und Diktaturen erst einmal errichtet, sind die Menschen in ihnen eingeschlossen und der Fremdbestimmung durch das Regime ausgeliefert. Es sind immer wieder dieselben Muster der Machtergreifung und –ausübung in der Gleichschaltung und ideologischen Legitimation der staatlichen Instanzen, des öffentlichen und kulturellen Lebens, in der allgegenwärtigen Kontrolle und Existenz bedrohenden Sanktion sowie der Indoktrination und Manipulation durch Propaganda und Desinformation. Gesellschaftliche Selbst- und Mitbestimmung wird, wenn überhaupt möglich, auf ein absolutes Minimum reduziert, Meinungsbildung vordiktiert.

Häufig berufen sich Autokratien auf ihre Legitimität durch Wahlen. Ja, Menschen wählen unter bestimmten gesellschaftlichen und damit mentalen Bedingungen und im Glauben der phantastischen Heilsversprechen ideologischer Narrative Autokratien und ja, sie folgen diesen Narrativen und ja, sie verlieren ihre Empathiefähigkeit unter dem Einfluss dieser Narrative und ja, sie stimmen unter Umständen diktatorischer Willkür, Aggression und Gewalt zu und ja, sie zerstören und morden unter dem Einfluss indoktrinärer Ideologien.

Wir haben die Wahl

Wir müssen uns bewusst sein. Alles was wir Menschen erleben und tun geschieht mental. Zivilisation und Aggression liegen deshalb in gleicher Weise in unseren Händen rsp. in unseren Köpfen. Demokratie oder Autokratie, wir Menschen haben die Wahl. Für eine selbstbestimmte realitätsbezogene Entscheidung der beiden Wege benötigen wir die Reflexion welche Narrative in unsere Köpfe eingehen und bereits eingegangen sind, und wie sie unser Wahrnehmen, Fühlen, Denken und Handeln prägen und bestimmen.

Diese Reflexion muss aber durch Selbstwahrnehmung und differenziertes analytisches Denken gelernt werden. Dazu ist mentale Aufklärung und Bildung in allen Bevölkerungsschichten von klein bis groß nötig. Dringend, wenn wir den Weg der Zivilisation in Beachtung der Menschenrechte, der Völkerverständigung und des Friedens gehen wollen.

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„Wenn es nach Wladimir Putins Visionen geht, dann werden die Ukraine und auch Belarus in Zukunft unverbrüchlich Teil seines Reiches sein. Und Putin selbst demnach der alleinige Herrscher über das einzige Land der Welt, das vermeintlich die wahren Werte der Menschlichkeit achtet. Und deshalb werde Russland auch schon lange vom Westen attackiert, der diese aufrechte Nation unterwandern und vernichten wolle – so geht die Legende. Man sei aber stark genug, sich nicht vom rechten Weg abbringen zu lassen, lautet die Devise aus Moskau. So hebt Putin sein Land und sein Volk hervor aus der restlichen Welt, gibt ihm eine einzigartige Stellung und seinem Tun eine fast heilige Mission.“

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